
Präambel
Wir haben keine Illusionen was die Behindertenpolitik Österreichs anlangt. Behinderte Menschen sehen sich dem schwersten Angriff auf die von ihnen in den letzten Jahrzehnten erkämpften Rechte ausgesetzt. In manchen Bereichen gibt es zwar kleine Verbesserungen, doch in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens aber auch auf allen politischen Ebenen werden die Lebensperspektiven behinderter Menschen eingeschränkt, Hilfen gestrichen, Unterstützungsleistungen gekürzt, Hilfsmittel verweigert, bzw. der Zugang erschwert. Gegen diesen Generalangriff, der für viele die Dimensionen einer sozialen Exklusion erreicht hat, wehren wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir, das sind behinderte Frauen und Männer, die sich den Ideen der internationalen Selbstbestimmt Leben Bewegung behinderter Menschen (Independent Living Movement) verpflichtet sehen.
„Behinderte Menschen Inklusiv“
10 Punkte beschreiben unsere Positionen
1) Es gilt der Satz: „Nothing about us – without us!“ – „Nichts über uns – ohne uns!“
Dieser Satz gilt vor allem für jene Parlamentsparteien, die keinen bzw. noch nie einen Betroffenen mit einer sichtbaren Behinderung in den Nationalrat entsendet haben. Wir wollen auf allen Ebenen der Gesellschaft teilhaben und mitbestimmen, besonders bei politischen Themen, die unser Leben betreffen!
2) Wir sind keine Bittsteller, sondern wir fordern klare und transparente Gesetze, deren Nichteinhaltung streng zu sanktionieren ist. Österreich ist Weltmeister im Unterzeichnen internationaler Verpflichtungen für Antidiskriminierung, hält diese aber im nationalen Recht oftmals nicht ein. Sanktionslose Gesetze sind im Allgemeinen wirkungslos.
3) An unsere Sozialpolitiker: Wer über uns redet, hätte besser geschwiegen. Die meisten Sozialpolitiker haben keine Ahnung von unserem Leben, maßen sich aber an, für uns zu sprechen. Dies gilt besonders auch für die Sozialpartner. Ausnahmen bestätigen die Regel.
4) Wir leben in einer Gesellschaft, deren Strukturen uns ausgrenzen. Diese Strukturen müssen wir aufbrechen. Wer sich mit uns solidarisiert, gehört zu uns. Wer unser Leben teilt, wird ebenfalls behindert und diskriminiert. Daher sind diese Menschen Teil unserer Gemeinschaft.
5) Nur weil jemand eine Behinderung hat, ist er/sie, noch kein/e Vertreter/in der Selbstbestimmt Leben Bewegung. Derzeit hat die fortschrittliche Behindertenbewegung zu wenige VertreterInnen im Parlament und den Landtagen.
6) Wir wissen, was wir nicht wollen. Daher wehren wir uns gegen politische Entmündigung, soziale Exklusion, Pflegeregresse, soziale Eugenetik und medizinische Unterversorgung.
7) In der fortschrittlichen Behindertenbewegung gibt es für Menschen mit extremistischen und rassistischen Ansichten keinen Platz!
8) Behinderte Frauen haben es in der Arbeitswelt schwerer als behinderte Männer. Eine fortschrittliche Behindertenpolitik muss vor allem auch behinderten Frauen helfen.
9) Wir nehmen gerne Hilfe an. Jedoch: Sinnlose Angebote ohne Substanz helfen nicht, sondern sie stören nur (wie z.B. undurchsichtige Spendenaktionen). Wer uns ständig Lebenskosten vorrechnet, dem können wir nur entgegenhalten: Während 10% der Bevölkerung in Österreich 2/3 des Vermögens besitzen und oft kaum Steuern zahlen, werden viele Betroffene für jede Kleinigkeit zur Kasse gebeten.
10) Unser zentrales Motto lautet: Selbstbestimmt leben, solidarisch kämpfen, an die eigene Stärke glauben.
Zur Vertiefung:
Aus Adolf Ratzka (Aufstand der Betreuten 1988),
Manifest der internationalen Selbstbestimmt Leben Bewegung
Ziel unserer Behindertenpolitik muß sein, dem Einzelnen mehr persönliche Macht und uns als Gruppe mehr politische Macht zu verschaffen. Triebfeder und Richtschnur in dieser Arbeit ist unser Selbstrespekt. Unsere Umwelt bombardiert uns ständig mit Hinweisen, daß unser Leben bemitleidenswert, lebensunwert und unerwünscht ist, daß wir Bürger zweiter Klasse sind. Viele von uns sind mit dieser Haltung aufgewachsen und glauben selbst daran. Wir müssen uns gegen diese Gehirnwäsche impfen, denn wenn wir nicht selbst davon überzeugt sind, daß unser Leben genauso viel wert ist wie das anderer Menschen, fordern wir auch nicht die gleichen Wahlmöglichkeiten, die unsere nichtbehinderten Angehörigen, Freunde und Bekannten in allen Bereichen des Lebens haben.
Erst wenn wir davon überzeugt sind, dass wir die gleiche Lebensqualität verdienen, die andere für selbstverständlich hinnehmen, werden wir uns nicht mehr in Anstalten und Heime abschieben lassen, sondern fordern, überall wohnen zu können. Dann werden wir uns nicht länger vom Sonderfahrdienst der Wohlfahrt verfrachten lassen, sondern behindertengerechte Anpassung aller öffentlichen Verkehrsmittel und Taxis fordern. Dann werden wir uns nicht in krankhafte Abhängigkeit von unseren Angehörigen zwingen lassen, sondern persönliche Assistenzdienste fordern, die uns freimachen. Dann werden wir nicht mehr dankbar über integrierte Teestuben und Freizeiten Freudentränen vergießen, sondern gleiche Bürgerrechte fordern. Dann werden wir uns nicht mehr unserer Behinderung schämen, uns verstecken und ein Zuschauerdasein fristen, sondern am Leben als freie und stolze Menschen teilnehmen.