Quelle: monat/ ÖAR – Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs, Verfasserin: Mag.a Tina Rametsteiner, E.MA/ ÖAR – Referat Europa und Internationales
Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die sogenannte Behindertenrechtskonvention, wurde 2006 von den Vereinten Nationen verabschiedet und ist 2008 in Österreich in Kraft getreten. Da die Behindertenrechtskonvention ursprünglich nur in den sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen verfasst wurde, fertigten Österreich, Deutschland, die Schweiz und Liechtenstein 2008 eine deutschsprachige Übersetzung an. Dies erfolgte jedoch fast ohne Beteiligung von Menschen mit Behinderungen.
Massive Kritik an der alten Übersetzung
Die Übersetzung wurde von Anfang an massiv kritisiert. Denn sie gab grundlegende Inhalte der Behindertenrechtskonvention, die vor allem in Anbetracht ihres Entstehungsprozesses von herausragender Bedeutung sind, nicht oder nur rudimentär wieder. So war etwa der englische Begriff „inclusion“ mit „Integration“ übersetzt worden, was dem Konzept von Inklusion der Behindertenrechtskonvention keinesfalls gerecht wird. Ebenso wenig entspricht die Formulierung „unabhängige Lebensführung“ dem der Konvention zugrunde liegenden Konzept von „living independently“ („Selbstbestimmt Leben“). Denn “unabhängige Lebensführung“ spart den Aspekt der Unterstützung völlig aus, der zur selbstbestimmten Verwirklichung aller Menschenrechte notwendig sein kann. Die deutsche Nichtregierungsorganisation Netzwerk Artikel 3 fertigte daher 2009 unter Beteiligung von Menschen mit Behinderungen eine sogenannte Schattenübersetzung an, die zahlreiche Übersetzungsfehler korrigierte, jedoch keine rechtliche Verbindlichkeit erlangte.
UN-Komitee empfahl Österreich Überarbeitung
2013 zeigte sich auch das UN-Komitee für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Rahmen der ersten Staatenprüfung Österreichs besorgt, dass die deutsche Übersetzung die Bedeutung der Konvention nicht genau widerspiegle und Entscheidungen veranlassen könnte, die nicht im Einklang mit der Konvention stehen. Das Komitee rügte die Verwendung des Wortes „Integration“ statt „Inklusion“ und stellte fest, dass „unabhängige Lebensführung“ die Bedeutung des Konzepts „independent living“ nicht genau wiedergebe. Der Begriff könne sogar dazu führen, dass Menschen mit Behinderungen die Gelegenheit verwehrt wird, in der Gemeinschaft zu leben. Das Komitee empfahl Österreich daher, die deutsche Übersetzung der Konvention unter Einbindung von Menschen mit Behinderungen und sie vertretenden Organisationen zu überarbeiten, „damit sie im Einklang mit der Konvention ist“.
Außenministerium startete Revisionsprozess
Anfang 2014 richtete das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres daher eine Arbeitsgruppe zur Revision der deutschen Übersetzung ein. Zweieinhalb Jahre lang führten Menschen mit Behinderungen und sie vertretenden Organisationen umfassende Beratungen mit mehreren Ministerien und VertreterInnen der Wissenschaft. Als Grundlage für die neue Übersetzung dienten die von Netzwerk Artikel 3 erstellte Schattenübersetzung sowie die authentischen englischen und französischen Fassungen der Behindertenrechtskonvention. Im Zuge eines sehr konstruktiven und transparenten Arbeitsprozesses wurden viele Begriffe neu übersetzt und sprachliche Ungenauigkeiten ausgebessert. Mit Erfolg. Die neue Übersetzung kann den Empowerment-Ansatz der Behindertenrechtskonvention nun weit besser zum Ausdruck bringen.
Einige neu übersetzte Begriffe im Überblick: (Tabelle anklicken)
Keine Einigung über Partizipation
Keine Einigung konnte hingegen bei der Übersetzung des Begriffes “participation” erzielt werden. Obwohl die volle und effektive „participation“ von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft, gleichberechtigt mit anderen, sowohl Ziel, Grundprinzip, als auch Querschnittsanliegen der Behindertenrechtskonvention ist, hat das Wort „Partizipation“ bis auf Artikel 33 (3) keinen Eingang in die Neuübersetzung gefunden. Es wird stattdessen weiterhin mit „Teilhabe“, „teil(zu)nehmen“ und „mitwirken“ verwendet. Dadurch gehen jedoch wesentliche Aspekte, welche die Konvention mit dem Begriff „participation“ verbindet, wie etwa der Aspekt der Mitbestimmung, verloren.
Schließlich ist auch die Übersetzung von „facilitate“ mit „erleichtern“ nicht immer zufriedenstellend. „Facilitate“ kann „erleichtern“ oder „ermöglichen“ bedeuten. In Zusammenschau mit den Grundprinzipien und Zielsetzungen der BRK scheint die Verwendung von „ermöglichen“ an vielen Stellen der Konvention aber eher angebracht. Dies wird etwa in Artikel 9 (2) lit. e augenscheinlich, wo es im Sinne der Konvention wohl eher geboten ist, barrierefreien Zugang zu „ermöglichen“, als diesen zu „erleichtern“. Aus diesem Grund verwendet auch die deutsche Schattenübersetzung von Netzwerk Artikel 3 überwiegend den Begriff „ermöglichen“.
Ausblick
Die neue Übersetzung wurde am 15. Juni 2016 im Bundesgesetzblattgesetz kundgemacht (BGBl. III Nr. 105/2016). Vorerst wird es somit zwei amtliche Übersetzungen der Behindertenrechtskonvention im deutschsprachigen Raum geben. Denn die anderen deutschsprachigen Staaten und die Europäische Union zeigten bislang kein Interesse, sich der neuen Übersetzung anzuschließen. Es wird spannend, wie lange die alte Übersetzung in unseren Nachbarländern tatsächlich noch überzeugen kann.
Anm.: Die sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen sind Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch. Alles sechs authentischen Fassungen der Behindertenrechtskonvention sind gleichermaßen rechtlich verbindlich (vgl Art 50
Abs 1 BRK); der englischen Fassung kommt jedoch besondere Bedeutung zu, da Englisch die vorrangige Verhandlungssprache bei der Verhandlung des Übereinkommens war.
Committee on the Rights of Persons with Disabilities, Concluding observations on the initial report of Austria (2–13 September 2013), CRPD/C/AUT/CO/1, 6-7.
Die Arbeitsgruppe bestand aus dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Bundesministerium für Bildung und Frauen, Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Bundesministerium für Gesundheit, Bundeskanzleramt, ÖAR – Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs, Pro Mente Oberösterreich, Netzwerk Selbstvertretung Österreich, Selbstbestimmt Leben Österreich, Österreichischer Zivilinvalidenverband Burgenland, Ausschuss zur Überwachung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie VertreterInnen der Wissenschaft.
Der Diskussionsprozess in der Arbeitsgruppe wird im Begleitdokument zur Revision der deutschen Übersetzung widergespiegelt, das unseren Informationen nach demnächst auf den Websites des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres und des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz abrufbar sein wird.
Bielefeldt, Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention, Deutsches Institut für Menschenrechte 2009, 4.
Hirschberg, Partizipation–ein Querschnittsanliegen der UN-Behindertenrechtskonvention, Positionen Nr. 3, Deutsche Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention 2010, 2
Bei BIZEPS ist die neue deutschsprachige Übersetzung der UN-Konvention erhältlich!