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Sigi Maron, der „Woody Guthrie“ Österreichs, ist tot

Sigi Maron, der „Woody Guthrie“ Österreichs, ist tot published on

Text: Dr. Erwin Riess
Üblicherweise beginnen Nachrufe mit den Sätzen „reißt eine tiefe (schwer zu schließende) Lücke“ und enden mit „werden seine Stimme schmerzlich vermissen, wird uns fehlen“. Für Sigi Marons Tod verbieten sich solche Phrasen.

Über Sigis künstlerische Arbeit, seine revolutionären Protestlieder, berichten alle Zeitungen, Boulevardmedien und Magazine – in unzähligen verlogenen, nicht wenigen haßgetränkten und herzlich wenigen ordentlichen Nachrufen.

Der ORF tut sich besonders hervor. In all seinen Programmen und Kanälen wird Sigi Marons Tod verkündet, einige Kommentatoren machen eine traurige Miene. Daß die Damen und Herren Redakteure und Sendungsverantwortlichen sich dabei vor Scham nicht ankotzen, kann nur mit dem Vorherrschen des österreichischen Nationalsports „Uneigennützige Gemeinheit“ in Verbindung mit der Kulturtechnik „Historische Amnesie“ erklärt werden.
Es war der ORF, der in all seinen Programmen per offiziellem Ukas an alle Redaktionen Auftritte und Lieder von Sigi Maron dreißig Jahre hindurch verbot.

Im Falle Sigi Maron fand die Republik zu sich. Freche und aufmüpfige Zeitgenossen haben in diesem Land nichts zu gewinnen, und sind sie dann auch noch Kommunisten und behindert obendrein (wo doch die Behinderten gefälligst ihr Schicksal gottergeben zu tragen haben), wird gegenüber dieser Person des öffentlichen Ärgernisses der Ausnahmezustand ausgerufen. Und wie immer stand die reformistische Arbeiterbewegung auf der Seite von Sigi Marons Feinden (mit Ausnahme der oberösterreichischen Sozialistischen Jugend).

Noch heute ist die SPÖ nicht in der Lage oder nicht willens, einen Menschen mit Behinderung zum Behindertensprecher zu machen. Innerhalb der damals noch existierenden Linken fand Sigi dennoch sein Publikum, sein Aufstieg zum Bob Dylan des deutschen Sprachraums, aber wurde von ORF und Staatszensur zunichte gemacht.

Die KPÖ, für die Sigi kämpfte und viele Auftritte und Wahlkämpfe bis zur physischen und psychischen Erschöpfung bestritt, bot ihm Auftrittsmöglichkeiten. Zu wenige, zu lieblos war der Umgang mit ihm, zu halbherzig die Unterstützung – wie er über die Jahre bitter klagte. Aber so war die Rolle fortschrittlicher Künstler in der KPÖ, man schmückte sich mit deren Ruhm und behandelte sie mit lauem Desinteresse.

Nur in der DDR war das anders: Dort war Sigi ein Star, dort erfuhr er den liebevollen Respekt, dessen er so sehr bedurfte. In der DDR erschienen seine Platten in riesigen Auflagen, seine Konzerte wurden im Hauptabendprogramm des DDR-Fernsehens übertragen. Als die DDR von innen und außen zum Einsturz gebracht und der Rest an die Treuhand verscherbelt wurde, saß Sigi auf einem Batzen DDR-Mark. Er hat ihn nicht angerührt.

Drei Tage vor Sigis Tod wechselten wir in einer Angelegenheit der Behindertenpolitik noch ein paar E-Mails. Ein Funktionär eines offiziösen Behindertenvereins hatte sich als Vernaderer und Intrigant gegen die eigenen Leute produziert. Der ehemalige Oberst reihte sich in die Phalanx jener ein, die behinderte Menschen für die Festigung der eigenen Machtposition in der Sozialpolitik mißbrauchen. Das hat in der österreichischen Sozialpolitik eine lange Tradition.

Der Dachverband, der vom Sozialministerium und der EU finanziert wurde und wird, beschränkte sich auf seine Rolle als Verkünder offizieller Sozialpolitik. Als vor Jahren der sozialdemokratische Sozialminister ein hundertzwanzig Punkte umfassendes Sparpaket speziell gegen die behinderten Menschen verkündete, schwieg der Dachverband, der – im Rollstuhl sitzende ÖVP- Abgeordnete und Behindertensprecher – begrüßte das Paket und setzte sich für die Abschaffung des besonderen Kündigungsschutzes (der so besonders gar nicht war) für behinderte Arbeitnehmer ein, die Bereitschaft der Unternehmen behinderte Arbeitnehmer einzustellen werde dadurch erhöht. Der Dachverband assistierte auch diesem Unsinn.

Fünf Jahre später wissen wir, daß die reale Arbeitslosenrate unter behinderten Menschen von fünfunddreißig auf über fünfzig Prozent gestiegen ist und daß viele behinderte Menschen nunmehr als erste entlassen werden, wenn es zu wirtschaftlichen Problemen im Betrieb kommt.

Sigi Maron hat gegen diese sozialpolitische Konterrevolution immer wieder in seinen Liedern, seinen Texten und Auftritten protestiert. „Höflich, vornehm und dezent, wie es meine Art ist, allerdings unter Einschluß eines gewissen obszönen Wortschatzes.“

Als der sozialdemokratische Kanzler Gusenbauer mit Unterstützung des Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammer (in Österreich ein Verein mit Zwangsmitgliedschaft, der sogar in der Verfassung verankert ist) um das Jahr 2007 mit dem Schlachtruf „Pflegegeld abschaffen!“ in die Regierungsverhandlungen ging, war Sigi unter den ersten, die den Widerstand organisierten. Man wollte den behinderten Menschen anstelle des Bargelds Pflegeschecks andrehen, die bei parteinahen Sozialhilfevereinen einzulösen gewesen wären, der roten Volkshilfe und dem schwarzen Hilfswerk. Dazu muß man wissen, daß das von der Behindertenbewegung erkämpfte Pflegegeld eine abgestufte Geldleistung ist, die es behinderten Menschen ermöglicht, Assistenzleistungen einzukaufen.

Alle Versuche, dieses Gesetz abzuschaffen, wurden bisher erfolgreich abgewehrt. Mit Hilfe der Grünen und der Solidarität der fortschrittlichen Künstler Österreichs besetzten wir das Parlaments sowie Ministerbüros.

Sigi war wie ich Bezieher von Pflegegeld der Stufe vier. Seine Arbeit als Liedermacher und meine als Schriftsteller wären ohne dieses Gesetz nur schwer möglich.
„Ich bin überzeugt, daß unter meinen Fans auch junge Nazis sind“, sagt Sigi. „Wobei ich hinzufüge, man muß mit jungen Leuten bis 21, 22 diskutieren, nicht einfach sagen: Aus, fertig. Ihr seid´s Nazis. Mit 25, 26jährigen muß man schon vorsichtig sein, weil die müssen schon mehr Hirn haben, die müssen wissen, was gespielt wird. Und ab 30 erschlagen wir sie, wenn sie dann noch Nazis sind. Aus mir spricht auch die Angst, die du als behinderter Mensch hast, wenn man diese Leute – wieder – an die Macht kommen läßt.“

Die Waldschule ist eine Sonderanstalt für behinderte Menschen in einem Föhrenwald bei Wiener Neustadt. Am Höhepunkt der Polio-Epidemie Ende der fünfziger Jahre waren schwer erkrankte Kinder dort untergebracht. Sigi erzählte einmal, daß er wochenlang in der Eisernen Lunge gelegen sei, er war gelähmt, vermochte nicht einmal den Kopf zu drehen oder mit den Augenlidern zu zwinkern. Fliegen ließen sich auf Sigis Gesicht nieder. Er konnte sie nicht abwehren. Also stellte er sich vor, daß auf seiner Stirn ein Frosch sitzt, der die Fliegen frißt. Und mit diesem Frosch hab ich mich angefreundet, er war der erste Genosse in meinem Leben, sagte Sigi.
Und jetzt ist Sigi Maron tot.
Und der Frosch muß schauen, wo er bleibt.

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