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Edwin Kremmel: Würdigung eines Menschen, der mutig eingeschritten ist

Edwin Kremmel: Würdigung eines Menschen, der mutig eingeschritten ist published on

Text: ÖA Marktgemeinde Lustenau
Einen späten Akt der Entschuldigung und eine Würdigung für seine herausragende Zivilcourage erfuhr kürzlich der 86-jährige Lustenauer Edwin Kremmel. Er hatte im Jahre 1955 einen Pflegezögling des Lustenauer Versorgungsheims, eine behinderte junge Frau, die zur Strafe im Kerker weggesperrt war, unerschrocken befreit. Sein beherztes und menschliches Handeln brachte ihm damals ein gerichtliches Nachspiel und großes Ungemach.

V.l.n.r.: Laudator Albert Lingg, Bürgermeister Kurt Fischer, Isolde und Edwin Kremmel und Rudolf Prinesdomu

Dokumentationsarchiv österreichischer Heimkinder stieß auf Akten
Das Dokumentationsarchiv österreichischer Heimkinder machte die Gemeinde vergangenen Herbst auf den Fall aufmerksam. Die Mitglieder des Archivs waren bei Recherchen nach Misshandlungen von Heimkindern unter 70 000 Akten auf einen betreffenden Zeitungsartikel gestoßen. Der „Wiener Echo“ hatte Ende der 1950er Jahre in einer Reihe, in der es um ungerechte Gerichtsverfahren ging, ihre Titelgeschichte Edwin Kremmel und seinem Handeln gewidmet. Mit dem Titel „Strenge Strafe für Menschlichkeit“ wurde über seine Hilfe für die junge Ingeborg Wilhelm, die im Lustenauer Versorgungsheim untergebracht war, berichtet.

Kerkerstrafe für behinderte Frau
Die mental und körperlich behinderte junge Frau war im Herbst 1955 zur Strafe für „ungebührliches Verhalten“ gegenüber den betreuenden Ordensschwestern vom Heimverwalter in den Kerker des Heims weggesperrt worden. Ohne Krücken fast bewegungsunfähig, lag sie tagelang beim Fenster und schrie um Hilfe –sie habe Angst, man lasse sie dort sterben. Edwin Kremmel, damals junger Tischlergeselle im benachbarten Betrieb, konnte sich das nicht länger ansehen und stellte den Verwalter zur Rede, er solle das Mädchen wieder freilassen, ohne Erfolg. Damit man ihm glaubte, fotografierte er das Mädchen hinter den Gittern und machte sich auf. Er packte sein Werkzeug, brach die Kerkertür auf und brachte das Mädchen wieder in dessen Zimmer hinauf.

Strafe für Menschlichkeit und unbequeme Wahrheiten
Für seine Zivilcourage erfuhr Edwin Kremmel vom Mädchen und den anderen Heimbewohnern großen Dank – aber nicht von der Gemeinde. Die auch damals verbotene Freiheitsberaubung des Heimzöglings war nicht lang Thema in der Gemeindevertretung, sondern: Der Heimverwalter erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Die Gemeindevertretung überließ nach kurzen Diskussionen über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens vom Verwalter „die Sache dem Gericht“ und so kam es, dass Edwin Kremmel eine bedingte Haftstrafe für sein Tun ausfasste. In Vorarlberg hatte die sozialdemokratische Zeitung „Der Volkswille“ den Fall unter „Mittelalterliche Methoden“ öffentlich gemacht, gekontert von einem rechtfertigenden „Leserbrief“ im konservativen „Volksblatt“. Dann wurde der Fall zu den Akten gelegt, wo er gut 60 Jahre lagerte. Bis Rudolf Prinesdomu und weitere Mitglieder vom Archiv österreichischer Heimkinder bei ihren Recherchen darauf stießen.

Umgang mit Schwächsten der Gesellschaft
Was später aus der jungen Frau geworden ist, konnte vom Historischen Archiv Lustenau und dem Meldeamt der Gemeinde im Zuge der jetzt erfolgten Würdigung recherchiert werden: Fakt ist, dass Ingeborg Wilhelm nach dem öffentlich gewordenen Vorfall von 1955 vom Versorgungsheim weg in die Landeswohltätigkeits- und Irrenanstalt Valduna Rankweil verlegt wurde. Die letzten Jahrzehnte verbrachte sie in Heimen in Tirol, wo sie 2006 in Ried im Oberinntal verstarb. Edwin Kremmel hat das Foto von der wehrlosen Frau, das er damals gemacht hat, bis heute aufbewahrt.

Dank und Würdigung durch die Gemeinde und das Dokumentationsarchiv
Auch wenn man das Gerichtsurteil und die Strafe heute nicht mehr gutmachen kann, so wollten Bürgermeister Kurt Fischer und die Gemeindeverantwortlichen die Ungerechtigkeit von damals ins rechte Lot zu rücken und Edwin Kremmel danken. Beim Ehrenabend, der am 13. März im Gasthof Krönele stattfand, hob Bürgermeister Kurt Fischer in seiner Würdigung die Zivilcourage von Edwin Kremmel hervor, der nicht wegsah bei einem Unrecht, sondern mutig einschritt und schlug die Brücke zum heurigen Gedenkjahr 2018.
Auch den Mitgliedern des Dokumentationsarchivs war es ein besonderes Anliegen, Edwin Kremmel persönlich Danke zu sagen. Sie sind größtenteils selber ehemalige Heimkinder, denen in ihrer Kindheit statt Liebe und Geborgenheit unter staatlicher und kirchlicher Obhut Furchtbares geschah.
Rudolf Prinesdomu hob beim Ehrenabend hervor, dass Edwin Kremmels Verhalten eine große Ausnahme war: „Unter all den 70 000 gesichteten Akten fanden wir nur zwei Beispiele, wo ein Unbeteiligter bei wahrgenommenen Misshandlungen eingeschritten ist. Sie haben eben nicht weggesehen, ein wahrer Mitmensch mit aufrechtem Gang. Danke, Herr Kremmel.“

Der komplette Artikel: Homepage der Marktgemeinde Lustenau

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