Text: IVS Wien
Mit dem Entgelterhöhungs-Zweckzuschussgesetz 2022 (EEZG) wurde die sogenannten Pflegereform 2022 auf den Weg gebracht, wobei aufgrund der zahlreichen Stellungnahmen und Interventionen kurz vor der endgültigen Beschlussfassung im Parlament im Juli 2022 noch Änderungen vorgenommen wurden.
Die IVS Wien hat schon im >>>Juni darauf hingewiesen, dass der Entwurf völlig an der komplexen Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen und deren Unterstützungsbedarfen vorbeigeht und die nun erfolgenden Umsetzungsschritte zeigen, dass auch die vermeintlichen Nachbesserungen an diesem Befund nichts ändern. Zwar wurden Heimhelfer*innen und Absolvent*innen einer Ausbildung nach den Sozialbetreuungsberufsgesetzen in die Aufzählung der begünstigten Berufsgruppen mit aufgenommen. Nach wie vor sind aber viele Mitarbeiter*innen, die Betreuungs- und Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen erbringen, nicht von der Reform erfasst und werden deshalb keine Entgelterhöhung erhalten.
Zusätzlich ergeben sich Konstellationen, die absurder nicht sein könnten und viel Unmut hervorrufen werden. So haben z.B. zwei Kolleg*innen, eine Psycholog*in und eine Fachsozialbetreuer*in Behindertenbegleitung die gleiche Grundqualifikation in Sachen Pflege, nämlich das sogenannte UBV Modul nach dem GuKG, das sie ermächtigt, bestimmte pflegerische Leistungen im Rahmen der Behindertenhilfe durchzuführen. Nun wird es so sein, dass die Fachsozialbetreuer*in in den Genuss der Entgelterhöhung nach dem EEZG kommt, die Psycholog*in allerdings nicht. Die beiden haben also die gleiche (pflegerische) Qualifikation, üben die gleiche Tätigkeit, unterstützen dieselben Menschen mit Behinderungen und werden in Zukunft unterschiedlich bezahlt.
Je nach Personalstruktur und Zielgruppen werden in den Organisationen der Behindertenhilfe unterschiedlich viele bzw. wenige Mitarbeiter*innen eine Entgelterhöhung erhalten (das reicht von über 80% bis zu unter 10%). Es wird auf jeden Fall zwei Klassen von Mitarbeiter*innen mit allen damit verbundenen Konsequenzen geben.
Darüber hinaus bleiben auch Persönliche Assistent*innen, von denen ja die wenigsten über eine pflegerische Qualifikation im Sinne des EEZG verfügen, einmal mehr außen vor, obwohl sie – unter Anleitung der Assistenznehmer*innen – z.T. sehr komplexe pflegerische Leistungen erbringen.
Mittlerweile gibt es fast 20 Jahre einen Kollektivvertrag für die Sozialwirtschaft in diesem Land, dessen Gehaltsschema die Mitarbeiter*innen zumindest in den Grundzügen sinnvollerweise nicht nach ihren Qualifikationen, sondern nach ihren Tätigkeiten einstuft. Die Politik hat es immer noch nicht geschafft, diese Logik nachzuvollziehen und tickt weiterhin in berufsrechtlichen Bahnen. Auch die Gewerkschaft hat dem offensichtlich nichts entgegenzusetzen, ebenso wenig wie die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen und der Dienstleistungsorganisationen.
Im Hinblick auf eine Nachfolgeregelung für das EEZG (es gilt für 2022 und 2023) sollte es ein Anliegen aller Beteiligten sein, gemeinsam darauf hinzuwirken, dass alle Mitarbeiter*innen der Behindertenhilfe eine Entgelterhöhung erhalten. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderungen, Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen in vielen Punkten nicht einer Meinung sind, in diesem Punkt allerdings sollten sie wirklich an einem Strang ziehen.