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ORF Bürgeranwalt, 19. Mai 2012: Behindertenwohnung mit Hindernissen

ORF Bürgeranwalt, 19. Mai 2012: Behindertenwohnung mit Hindernissen published on

In der ORF Bürgeranwaltsendung vom 19. Mai 2012 wurden Barrierefreiheit und behindertengerechtes Wohnen thematisiert. Eva Steinhauser aus Wien-Favoriten sitzt im Rollstuhl und beklagt, dass ihre Wohnung, die laut „Wiener Wohnen“ eine Behindertenwohnung ist, überhaupt nicht behindertengerecht ausgestattet sei.

Ein Kommentar von Pepo Meia

In der vermeintlichen „Behindertenwohnung“ seien weder der Sicherungskasten, noch das Badezimmer oder die Toilette für sie erreichbar. Sie fühlt sich in ihrer Wohnung „eingesperrt wie ein Vogel“.  Auch den Aufzug kann sie nur mit fremder Hilfe benutzen.

In der Sendung kam zu Tage, dass der Gemeindebau 1972 errichtet wurde, der Mietvertrag (die Wohnung wurde als Behindertenwohnung deklariert) 1999 mit dem Passus unterschreiben wurde, dass die Wohnung auch nicht an Verwandte weitergegeben werden kann, sondern wieder an Betroffene vermietet werden muss. Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek forderte die generelle Aufhebung dieses Passus, aber auch, dass Wohnungen generell barrierefrei umgebaut werden sollten, wenn das alte Mietverhältnis beendet und die Wohnung neu adaptiert wird.

90% der Bevölkerung wünschen sich barrierefreie Wohnungen

Brinek meint sinngemäß: „Barrierefreiheit zahlt sich aus. 90% der Bevölkerung wünschen sich barrierefreie Wohnungen, da sie auch im Alter generationsübergreifend miteinander leben wollen.“

Fehlen die Mittel, dass generell alle Wohnungen barrierefrei umgebaut werden?

Dies wurde von Ing. Christoph Holzmann von der Kompetenzstelle der MA25 „barrierefreies Planen, Bauen und Wohnen“ zurückgewiesen, da man nicht (z.B. bei Aufzügen oder zu schmalen Türen) in die Bausubstanz eingreifen könne. Bei Sicherheitstüren ist ein Türstaffel notwendig.

Anm. Red.:  Auch Türstaffel und dazugehörige Türen könnte man rollstuhlfreundlich (mit einem Schrägprofil) adaptieren. Bei Neuadaptierungen von Wohnungen sollte generell ein barrierefreier Umbau selbstverständlich sein.

Einiges kam in der ORF Bürgeranwaltsendung nicht zur Sprache 

Bei größeren behindertengerechten Wohnungsadaptierungen, die auch mit öffentlichen Mitteln gefördert werden (Wohnbauförderung), benötigt der oder die Betroffene eine Bewilligung vom Vermieter (Wiener Wohnen), wenn diese behindertengerecht umbauen wollen. Diese beinhaltet, dass bei Beendigung des Mietverhältnisses der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt werden muss. Dies ist sicherlich abschreckend, da dieser Rückbau mit finanziellem Mehraufwand verbunden ist. Dieses Problematik wurde in dem ca. 16 Minuten dauernden ORF-Beitrag gar nicht erwähnt.

Keine konstruktiven Lösungen in Sicht

Als Zuseher konnte man den Eindruck gewinnen, dass um den „heißen Brei“ herumgeredet wurde, jedoch keine konstruktiven Lösungen in Sicht seien, da es scheinbar wieder an den nötigen Mitteln mangelt.

Fakten

Seit 1991 werden in Wien keine neuen Behindertenwohnungen mehr gebaut, sondern generell nur noch Regelwohnungen.

Regelwohnungen sollten generell barrierefrei gestaltet sein

Wenn diese an eine behinderte Person weitervermietet werden, kann diese speziell nach den Bedürfnissen, je nach Behinderungsgrad, umgebaut werden. Dafür gibt es auch Förderungen nach dem Wohnbauförderungsgesetz. Diese Förderung kann für jede Wohnung nur einmal in Anspruch genommen werden, denn wenn sich der Behinderungsgrad zu einem späteren Zeitpunkt ändert, erhält man diese Förderung nicht mehr, da es sich um eine sogenannte Objektförderung handelt. Dies wäre im Sinne der Betroffenen baldigst zu novellieren.

Was bedeutet barrierefreies Wohnen?

Dass Kinder, kleinwüchsige- und mobilitätseingeschränkte Personen, Rollstuhlfahrer eingeschlossen, also alle Personen in ihrer Wohnung, selbständig wohnen wollen, ist unumstritten. Dazu gehört selbstverständlich auch die eigenständige Nutzung von Bad und WC.

Ö-Norm B1600 regelt barrierefreie Standards 

Seit 1977 gibt es die Ö-Norm B1600, die barrierefreie Standards regelt. Menschen mit Behinderungen und auch Menschen mit einer nur vorübergehenden körperlichen Beeinträchtigung haben meist einen größeren Platzbedarf. Die angeführten Maßnahmen ermöglichen behinderten Menschen und vorübergehend bewegungs- oder sinnesbehinderten Menschen die sichere Nutzung von Gebäuden und Anlagen weitgehend ohne fremde Hilfe. Sie können auch Gipsverbandträgern, Schwangeren, Menschen mit Kinderwagen oder Lasten, sowie Kindern und älteren Menschen die Benützung von Gebäuden und Anlagen erleichtern. Es gab seither einige Novellierungen, zuletzt 2005, 2011 und 2012. Da die Bauordnungen der einzelnen Bundesländer zum Teil stark voneinander abweichen, sind die Normen auch unterschiedlich stark berücksichtigt. Die Bauordnungen der einzelnen Bundesländer sind bei dem jeweiligen Amt der Landesregierung bzw. den zuständigen Behörden und Beratungsstellen in Erfahrung zu bringen.

Sondervergabestelle für sogenannte „Behindertenwohnungen“

Es gibt eine Sondervergabestelle der Stadt Wien bei Wiener Wohnen im 23. Bezirk in der Anton-Baumgartner-Straße 125, wo Behindertenwohnungen registriert sind. Das Problem ist, dass man den jeweiligen Standard der sogenannten „Behindertenwohnung“ nicht kennt, da diese seinerzeit nicht registriert worden sind.

Der Bedarf nach behindertengerechten Wohnungen steigt

Inzwischen gibt es eine große Anzahl an behindertengerecht adaptierten Wohnungen, wobei auch öffentliche Mittel verwendet wurden, die nicht in der oben genannten Sondervergabestelle registriert wurden. Diese Wohnungen, auch wenn sie nicht der heutigen Ö-Norm entsprechen, könnte man registrieren und an Betroffene weitervermieten. Der Bedarf nach derartigen Wohnungen steigt, auch aufgrund der steigenden Lebenserwartung. Denn oft müssen alte und behinderte Menschen aus ihrer Wohnung ausziehen, da sie den Alltag behinderungsbedingt nicht mehr länger selbständig bewältigen können, ansonsten sind Alten- und Pflegeheime der letzte Ausweg.

Schwächen des Systems wurden aufgezeigt

Der Fall Eva Steinhauser in der Bürgeranwaltsendung zeigt genau die Schwächen des Systems auf. Man hätte 1999 diesen Passus gar nicht mehr in ihren Mietvertrag nehmen dürfen, da ihre Wohnung schon damals der besagten Ö-Norm B1600 nicht entsprach und somit keine sogenannte „Behindertenwohnung“ war. 

Wird die Bauordnung in Wien eingehalten?

Wien hat eine gute Bauordnung im Vergleich zu anderen Bundesländern, die bei Neu- und Umbauten barrierefreies Wohnen regelt. Jeder Architekt muss einen Neu- oder Umbaubau barrierefrei planen.  Seit 2004 muss sogar ein Ziviltechniker jedem Planer bei Baufertigstellung bestätigen, dass die Ausführung der Wiener Bauordnung entspricht. Mit der Techniknovelle 2007 wurde ab Juli 2008 die Bauordnung für Wien (BO) dahingehend geändert, dass in der BO im Allgemeinen (nur) grundsätzliche technische Anforderungen formuliert sind. Hinsichtlich der barrierefreien Gestaltung von Bauwerken gilt § 115 BO (der neben allgemeinen Bestimmungen allerdings auch Detailbestimmungen beinhaltet). Ob dies in der Praxis immer umgesetzt wird, ist allerdings mehr als fraglich, da die Kontrollmechanismen mangelhaft sind.

Resümee zur Bürgeranwaltsendung

Es war wichtig, dass die Problematik  Barrierefreiheit und behindertengerechtes Wohnen thematisiert wurde, jedoch haben die Experten den Fall wie „eine heiße Kartoffel“ angefasst und sind zu keiner Entscheidung gekommen, die für Frau Steinhauser notwendig gewesen wäre. 

In denke, nicht nur der „normale Zuseher“ ist in juristischen Detailfragen überfordert.

Bürgeranwalt vom 19. Mai 2012 – Behindertenwohnung mit Hindernissen

mit: Dr. Peter Resetarits, VA Dr. Gertrude Brinek, Eva und Nicolai Steinhauser, Ing. Christoph Holzmann (Kompetenzstelle MA 25), Dr. Georg Kathrein (Justizministerium), Mag. Markus Stradner (Wiener Wohnen); TV-Bericht: Tina Schmidt-Ladenbacher.

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