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Döbling nicht barrierefrei! – Welträtsel gelöst

Döbling nicht barrierefrei! – Welträtsel gelöst published on

Text: Dr. Erwin Riess „Quelle: monat 6/2012“

Der „Ständige Ausschuß zur Klärung sämtlicher Welträtsel“, welcher beim Binder-Heurigen am Jedlersdorfer Platzl tagt, hatte über eine wichtige Frage zu befinden: Wie erklärt sich die fortgesetzte Diskriminierung behinderter Menschen im Wiener Nobelbezirk Döbling. Der Antragssteller, ein Rollstuhlfahrer aus dem Bezirk*, führt eine lange Liste baulicher Barrieren auf. Nahezu jedes Restaurant auf der Heiligenstädterstraße genüge nicht den Minimalerfordernissen barrierefreier Gastronomie als da wären: niveaugleicher Eingang, Behindertentoilette, geeigneter Parkplatz. Dazu kommen dutzende unzugängliche Heurigen, so die Betriebe „Reinbrecht-Altes Kloster“, wo man zwar ins Lokal, nicht jedoch in den großen Gastgarten kommt, die Heurigen „Zimmermann“, „Muth“ und „Welser“, den „Mayer am Pfarrplatz“ und viele andere. Die Dynastie Fuhrgassl-Huber führe vier Lokale in Neustift, kein einziges davon sei barrierefrei, ähnlich wie der „Plachutta“ in der Heiligenstädterstraße, wobei hinzugefügt werden müsse, daß auch die „Plachuttas“ in der Wollzeile und in Hietzing nicht zugänglich seien, womit Herr Plachutta in die Fußstapfen des Nobelgastronomen Mörwald in Feuersbrunn und Krems trete, dessen Lokale und Hotels seit Jahren Rollstuhlfahrer ausschließen. Der Einbringer wollte nun vom „Ständigen Ausschuß“ wissen, warum gerade in einem bürgerlichen Nobelbezirk eine derartige Häufung ausschließender Lokale festzustellen sei. Ihn bewegte die Frage, ob es sich um einen sozialen Defekt der Oberklasse handle oder um schlichte Ignoranz.

Nach einer turbulenten Sitzung kam der „Ständige Ausschuß“ zu folgendem Erkenntnis: Daß die Döblinger Gastronomie behinderte Menschen ausschließe, sei vor allem auf das Versagen der Bundesgesetzgebung, der Stadt- und Landes- sowie der Bezirksführung zurückzuführen. Die Fehlleistung äußere sich unter anderem auch darin, daß ganze Straßenzüge in Grinzing und Nußdorf mit Pflastersteinen bestückt seien, was jegliche Befahrung für Rollstuhlfahrer unmöglich mache. Daß in anderen Weltgegenden, so in Tschechien und Italien, längst barrierefreie Asphalt- oder Marmorstege innerhalb der Pflasterung in Betrieb seien und nicht nur Rollstuhlfahrern das Leben erleichterten, werde von der heimischen Baubranche beharrlich ignoriert. Hebeplattformen, Rampen und Lifte seien längst bekannt. Bei hartnäckigen Mehrfach-Tätern wie Plachutta und Co. müsse auch der direkte Vorsatz des bewußten Ausschließens behinderter Menschen in die Überlegungen miteinbezogen werden. Es sei dies eine Praxis, die besonders in touristischen Zentren wie in Salzburg-Stadt, am Wörthersee oder im Salzkammergut gepflogen werde. Im Gegensatz zu zivilisierten Staaten, die besonders in der Nobelhotellerie und Gastronomie behinderten Gästen auf dem Stand der Zeit begegneten, sei es in Österreich umgekehrt: Je teurer die Gegend, desto schleißiger die Vorkehrungen für behinderte Menschen. Dieser Umstand verweise auf ein in den Tiefenschichten des historischen Bewußtseins lebendiges Fortwirken eugenischer Traditionsstränge, welche nur mittels strenger und transparenter Antidiskriminierungsgesetze bekämpft werden könnten. Herr Groll möge den Wahrspruch dem Einbringer der Frage in Döbling persönlich übermitteln, beschied der „Ständige Ausschuß“. Der Petent wurde aufgefordert, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, sondern Menschenrechtsverletzungen auch fürderhin penibel aufzulisten. Selbst Döbling könne sich dem Lauf der Zeit nicht verschließen. 

* Name der Redaktion bekannt

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