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Pflegegeld-Wertverlust nach Nullrunden-Exzess seit 25 Jahren

Pflegegeld-Wertverlust nach Nullrunden-Exzess seit 25 Jahren published on

Text: Ing. Gerhard Lichtenauer
Hier einige Gedanken zur Bewusstmachung des Wertverlusts beim Pflegegeld (PG), die mir wichtig erscheinen. Manchmal habe ich es in BIZEPS-Forum- Einträgen oder Facebook-Kommentaren angerissen und zu erklären versucht, was nicht leicht zu erklären ist, besonders für Nichtbetroffene.

Der Hammer in der Sache ist die Kumulierung aller Nichtvalorisierungen! In 19 “Nullrunden” seit 1993 erfolgte kein Inflationsausgleich. Mit Kumulierung meine ich das kontinuierliche Anhäufen (quasi „Ansparen“) des Verlusts, sogar mit zusätzlichem Negativ-Zinseszinseffekt.

Es geht also darum, dass die PG-Bezieher z.B. auch heuer wieder, wie jedes Jahr, alle bisherigen Nullrunden-Verluste zusammen zu tragen, zu stemmen oder zu erleiden haben und nicht nur die jeweilige Jahres-Nichtanpassung. Ich weiß, es ist etwas schwer zu erklären.

Ein anderer, einfacherer Erklärungsansatz dieses Effektes ist die Tatsache, dass es jetzt eben um etwa ein Drittel weniger wert ist, als bei der Einführung 1993. Es fehlt also nicht nur der jeweilige Inflationsverlust um einige Prozente. Es fehlen auch nicht 30 bis 32 Prozent (das galt schon vor einigen Jahren, jetzt sind’s vielleicht schon 33 bis 35 Prozent), sondern es müsste derzeit, nur für den Inflationsausgleich, schon um etwa 50 Prozent erhöht werden, um auf das Kaufkraftniveau von 1993 zu kommen (66,6 % mal 1,5 ist 100 %). Das ist zwar nur eine Darstellungsfrage, die aber gleich eine andere Optik hergibt.

Die Verschärfung oder der Hammer schlechthin ist eben, dass ja auch in all den Vorjahren schon kräftigst Anpassungen „eingespart“ (faktisch gekürzt!) wurden und die Kumulierung bei Dauer-Langzeitpflege eben die Nötigung in die Armut insbesondere für pflegende Angehörige von lebenslang Schwerstbehinderten darstellt.

Bei altersbedingter Pflegebedürftigkeit, die im Durchschnitt nur etwa fünf Jahre bei meist ansteigenden Pflegestufen beträgt, geht dieses finanzielle Loch zwar auch auf die Substanz bzw. an die Ersparnisse und Ressourcen der Familien aber viel krasser ist’s, wenn diese soziale Nötigung und systemische Diskriminierung mehrere Jahrzehnte bis lebenslang anhält.

Für die Betroffenen bedeutet es eine dauernd fortschreitende Reduzierung zukaufbarer Hilfen oder das vermehrte Angewiesensein auf kostenlose oder extrem unterbezahlte Hilfen (Ausbeutung bzw. Selbstausbeutung).

Leider wird der Wertverlust mit bloßer Bezugnahme auf die Nichtvalorisierung meist viel harmloser dargestellt, als er tatsächlich dramatisch und existenzbedrohend ist.

Ein weiterer Kapitalfehler im Pflegegeldsystem, der kaum angesprochen wird, ist folgender bei den PG-Stufen 5-7: Es müsste eine Kategorie jenseits des 7-Stufen-Modells geben, nämlich nach tatsächlichem Aufwand. Das was früher mal als „offene PG-Stufe“ bezeichnet wurde, ist bald nach PG-Einführung 1993 einfach wieder in der Versenkung verschwunden.
Jemand, der etwas mehr als 6 Stunden pro Tag (>180/Monat) Hilfe braucht, bekommt gleich viel Pflegegeld wie jemand, der tatsächlich 24 Stunden Unterstützungsbedarf hat. Bei echtem (ununterbrochenem) 24-Stunden Hilfebedarf (oder mehr, wie z.B. 26-30 Stunden pro Tag, wenn zeitweise zwei Pflegende/Betreuende nötig sind) bekommt man also nur ein Viertel bis zu einem Fünftel Unterstützung gegenüber jenen Betroffenen, die nur knapp über 180 Stunden Hilfebedarf im Monat (6 Stunden pro Tag) haben.

Obwohl das pauschalierte Pflegegeld auch schon bei einem Bedarf von 6 Stunden pro Tag (180/Monat) nur ein sehr kleiner Zuschuss von ca. 10 Prozent ist (7 % bis 24 % lt Rechnungshof vom Sept. 2007, Berechnung erfolgte leider nur mit 180 Std. und nicht mit 730 bis 900 Std. pro Monat). Der RH rechnete damals mit einem fiktiven Mindestlohn und berücksichtigte irrtümlich nur 6 Stunden täglichen Bedarf bei den Pflegestufen 5 bis 7. Das heißt, das Pflegegeld deckt bei einem tatsächlichen 24-Stunden Hilfebedarf gerade mal nur etwa ein Viertel bis ein Fünftel dessen ab, was der RH im Jahr 2007 berechnete – also insgesamt nur etwa 2 bis 6 Prozent des tatsächlichen Bedarfs. Und 10 Jahre mit vielen PG-Nullrunden sind seither auch schon wieder durchs Parlament gewunken über’s Land (her)gezogen.

Die entscheidende Frage, die nie gestellt wird, und wenn ich sie stellte, nie beantwortet wurde, lautet: „Wer zahlt den „Rest„, wer kommt für die offenen 94 bis 98 Prozent “Selbstkostenanteil” auf, insbesondere, wenn soziale Bedürftigkeit vorliegt?
Auf die (übrigens koalitionär vertuschte und nun wohl bald mit ihr platzende) “Scheinselbständigkeit” sowie arbeits- und sozialrechtlich völlig irregulären Dumpingpreise – bzw. besser Sklavenlöhne – der sog. (bis zu) 24-Stunden-Betreuung einzugehen, wäre ein Kapitel für sich, bei dem sich Abgründe auftun – und das werden sie nun auch, im NR-Wahlkampf, denke ich.

Nachtrag: In folgenden Jahren erhielt das Pflegegeld einen Ausgleich von etwa der jeweiligen Jahresinflation: 1994 mit 2,5%, 1995 mit 2,8% und dann erst wieder 10 Jahre später, 2005 mit 2,0%.
2009 wurde mehr als die aktuelle Jahresinflation abgegolten, also eine teilweise Nachvalorisierung vorgenommen: Erhöhung um 4% (Stufen 1 und 2), 5% (Stufen 3 bis 5) und 6% (Stufen 6 und 7).
2011 wurde nur die PG-Stufe 6 um 1,45% (€ 18,- pro Monat) erhöht.
2016 wurde das PG in allen Stufen um 2% nachgebessert.

 Dazwischen gab es also in 19 Jahren (PG 6: 18 Jahren) keinen Ausgleich der Jahresinflation, also “Nullrunden” in den Jahren 1996 bis 2004, 2006 bis 2008, 2010 bis 2015 und 2017. Einzig die Nachbesserung von 2009 kompensierte etwa zwei „Nullrunden“.
Die teilweisen Inflationsausgleiche seit 2009 wurden jedoch durch massive Einschnitte bei den unteren Pflegestufen querfinanziert. Durch Zugangserschwernisse zu den Pflegestufen 1 und 2, in zwei Etappen (2010 und 2016), erhalten zehntausende Pflegebedürftige mit einem Hilfebedarf von monatlich bis zu 65 Stunden nun gar kein Pflegegeld mehr. Vor 2010 lag die Einstiegsschwelle bei 50 Stunden. Die Anspruchsvoraussetzung für PG 2 wurde von 75 Stunden pro Monat auf 95 Stunden gehoben.

Facebook: Gerhard Lichtenauer Herausgeber von „Katja’s Blog“: katja.at
Initiator der Österreichischen Bürgerinitiative „Daheim statt Heim“
Facebook-Gruppe: „Daheim statt Heim“ Österreich“

Anm.Red.: 10 Jahre „Daheim statt Heim“
Am 1. Juni 2007 wurde von Ing. Gerhard Lichtenauer die Bürgerinitiative „Daheim statt Heim“ nach dem deutschen Vorbild auch in Österreich ins Leben gerufen.
Interviews mit dem Initiator Gerhard Lichtenauer, Bundestagsabgeordnete der SPD, Frau Silvia Schmidt (Mitglied des BT-Ausschusses für Arbeit und Soziales, Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion), sowie einem der Erstunterzeichner der deutschen gleichnamigen Initiative, Herr Rolf Stöckel (Mitglied des BT-Ausschusses für Arbeit und Soziales, Mitglied der AG Menschenrechte und humanitäre Hilfe).
Die Interviews (Pepo Meia – 2008) kann man sich auch im Cultural Broadcasting Archive (CBA) anhören. (Länge: Ca. 5 Min.)

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