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Nach Umbau einer Merkur-Filiale: Verschlechterungen für Menschen mit Behinderung

Nach Umbau einer Merkur-Filiale: Verschlechterungen für Menschen mit Behinderung published on

 Einkauf im Rollstuhl ohne Hilfe kaum mehr möglich – ein Schlichtungsverfahren wurde eingeleitet
Text: Walter Martinek (Erlebnisbericht)
Am 1.01.2016 endete die Übergangsfrist für das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGStG). Der Vorstandsvorsitzende des REWE-Konzerns Frank Hensel gab diverse Interviews zu diesem Thema. Hensel wies darauf hin, wie sehr er im Konzern darauf achten würde, dass barrierefreie Maßnahmen über die Mindestanforderungen des BGStG hinaus Teil der Unternehmensstrategie wären. Leider merkt man nicht viel davon.

Vorweg: Meine Erfahrungen nach dem Umbau der Merkurfiliale in der Julius Fickerstraße (Wien Floridsdorf) waren frustrierend. Einwände bzgl. Verschlechterungen beim Einkauf für Menschen mit Behinderung wurden einfach ignoriert. Deshalb habe ich auch ein Schlichtungsverfahren angestrebt.

Merkur JFS
Merkur-Filiale: 1210 Wien, Julius Fickerstraße 91

Als ich am 29.10.2015 wie gewohnt in der Merkurfiliale einkaufen wollte, war dies selbstständig beim Wurst-und Käseregal nicht mehr möglich, da gläserne Türen angebracht wurden. Waren aus dem Regal konnte ich nur mehr mit fremder Hilfe entnehmen. Ein Angestellter meinte, dass dies die Generaldirektion veranlasst habe. Der Grund sei ihm nicht bekannt.
Ich schrieb noch am selben Tag einen Brief an den Vorstand von REWE International AG.

Am 5.11.2015 bekam ich eine Antwort per E-Mail von Frau Lorena Skalnik (Merkur Friendly Serviceline), worin sie mir mitteilte, dass mein Feedback (Kritik) intern weitergeleitet wird und ich eine Rückmeldung vom zuständigen Marktleiter per Telefon erhalten werde?! In der Zwischenzeit wurde der Markt weiter umgebaut.

Am 23.11.2015 nach der Wiedereröffnung war ich besonderes entsetzt, denn es wurden noch vier sogenannte Selbstbedienungs-Kassen (siehe Foto) aufgestellt, welche jedoch von Rollstuhl- und Rollatorennutzern, Menschen mit Seheinschränkungen etc. nicht bedient werden können, da diese Kassen nicht unterfahrbar und der Bildschirm sowie die Bankomatkasse außerhalb der Reichweite sind. Es wurde also eine neue Barriere für behinderte Menschen errichtet. Von 12 Kassen war nur eine mit einer rollstuhlgerechten Zufahrt ausgestattet. Bei allen anderen Kassen war die Breite der Zufahrt unter 90 cm, also nicht der Ö-Norm B1600 entsprechend.

merkur Selbstbedienungskasse 01
Selbstbedienungskassen
Merkur Glas
Selbstschließende Glastüre

Am 24.11.2015 schrieb ich wieder eine E-Mail an Frau Lorena Skalnik in der ich ihr mitteilte, dass bis jetzt keine Verbindung mit mir aufgenommen wurde, ich mir so eine Behandlung als langjähriger Kunde nicht gefallen lassen würde und ich daher die notwendigen Schritte zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung und sonst allen davon Betroffenen einleiten werde.

Am gleichen Tag erhielt ich eine E-Mail von Frau Skalnik, dass sie mein Feedback (Kritik) bereits am 5.11.2015 an den zuständigen Marktleiter weitergeleitet habe, sie ersuchte noch um etwas Geduld und hat sich noch für mein Verständnis bedankt.

Nachdem meine Einwände weiter ignoriert wurden, reichte ich nach über zwei Wochen, am 11.12.2015, beim Bundessozialamt Service den Antrag einer Schlichtung ein.

Am 18.02.2016 erfolgte das Schlichtungsgespräch. Dabei rückte der Schlichtungspartner, die Fa. Merkur Warenhandels EG, keinen Millimeter von der Behauptung ab, dass die angeführten Probleme mit dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz kompatibel wären. Es wurde vereinbart, dass bis zum 21.03.2016 von jeder Partei eine Stellungnahme abgegeben wird, was man eventuell noch verbessern kann, oder ob die Schlichtung als gescheitert beendet wird.

Es bleiben einige Fragen offen, wie zum Beispiel: Was passiert, wenn ein „Rolli“ aus Versehen, wenn er ins Regal greift, gegen die offene Glastüre fährt und diese aus der Verankerung gerissen wird und zu Boden fällt und dadurch jemand verletzt wird? Die besagten Glastüren sind nicht nur für Rollstuhlfahrer ein Ärgernis. Auch andere Kunden und Kundinnen haben Schwierigkeiten Waren problemlos aus den neuen Kühlregalen entnehmen, da sich diese Türen automatisch schließen…

Anm.BMIN-Red.: Seit 2016 ist die Übergangsfrist des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) zu Ende. Dies bedeutet, dass Diskriminierung von behinderten Personen endgültig per Gesetz verboten ist. Auch wenn solche Umbaumaßnahmen für die Führungsriege rationell erscheinen, sollten die Entscheidungsträger doch kundenfreundlicher agieren und Verbesserungsvorschläge und Hinweise auf Missstände nicht einfach ignorieren.

Probleme wie die nicht unterfahrbaren Kassen und zu schmale Passagen im Kassenbereich, basieren auf unzureichender Planung und würden, wenn man an diese Bevölkerungsgruppe gedacht hätte, vermutlich auch keine Mehrkosten verursachen. Dasselbe gilt für die angesprochenen Glastüren der Kühlregale – kleinere Schiebetüren in verschiedene Höhen angebracht, die selbständig wieder schließen – würden nicht nur für diese Bevölkerungsgruppe Erleichterungen bringen (kundenorientiert).

Selbst wenn man als Betroffener eine Zivilrechtsklage anstrebt und diese dann für den Kläger positiv entschieden wird, da eine unmittelbare Diskriminierung festgestellt wird, sieht das BGStG keinen Unterlassungsanspruch vor. Dies bedeutet, dass zwar materieller Schadenersatz zugesprochen wird, jedoch muss der Beklagte keine baulichen Maßnahmen zur Beseitigung der Barriere(n) setzen – die bauliche Diskriminierung muss nicht beseitigt werden. Die dadurch entstandenen Kosten werden vom REWE-Konzern vermutlich aus der „Porto-Kasse“ bezahlt.

Ein Unterlassungsanspruch wird nicht nur von der Behindertenbewegung gefordert.

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