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Zum Tod von Eduard Riha

Zum Tod von Eduard Riha published on

Text: Erwin Riess
Herr Groll erinnert sich…
Am frühen Nachmittag des 10. September 2020 stürmte der Dozent in den Gastgarten des Binder-Heurigen in Floridsdorf. Herr Groll saß vor einem Glas Wein und schrieb in ein kariertes Heft. Der Dozent nahm Platz. 

„Geschätzter Groll! Die Nachricht vom Tod Eduard Rihas schockiert nicht nur die Behinderten-Community. Ich weiß, daß er in den letzten Jahren krank war und sehr zurückgezogen lebte. Nicht einmal die engsten Freunde und Freundinnen bekamen Zutritt. Sonst weiß ich wenig über ihn. Sie waren doch einer seiner ältesten Freunde, und ein Nachbar obendrein. Schließlich teilten sie beide die Liebe zur Literatur und die Treue zum selben Weingut nahe Retz. So etwas verbindet. Ich möchte mehr über ihn wissen. Ich bitte Sie daher: Erzählen Sie mir von Eduard Riha.“

Herr Groll legte Block und Stift zur Seite, nahm einen Schluck vom Rotwein und erzählte: 

„Alles begann damit, daß ich im November 1985 eine behindertengerechte Wohnung in der Gerasdorferstraße bezog. Damals lag der Schnee knietief, zwischen dem Stammersdorfer Heeresspital und meiner Wohnanlage hatten Unverzagte eine Langlaufloipe gespurt. Als ich meinen Wagen unter dem Carport abstellte, sah ich zwei Stiegen weiter einen Rollstuhlfahrer, der eben vom Fahrersitz auf einen Rollstuhl wechselte. Die paar schneeverwehten Meter zur Eingangstür waren für meinen Nachbarn Eduard Riha wie für mich eine Herausforderung, die wir aber beide meisterten. Wie wir die nächsten 35 Jahre manch andere Herausforderung bewältigten, ob es sich um Großdemonstrationen zur Einführung des Pflegegelds oder, Jahre später, zur Verhinderung von dessen Abschaffung handelte oder um die Bewältigung einer steilen Rampe bei unserem Lieblingsrestaurant „Militzis“ am Meerufer Larnacas, wo wir in den 90er Jahren oft zu Gast waren.
Ich arbeitete damals im Bautenministerium und betreute Wohnbauforschungsprojekte. Eine Studie hieß „Durchsetzungsbedingungen behindertengerechten Bauens“, die Experten des Instituts für Soziales Design und Eduard Riha von der Behindertendachorganisation wußten längst wie barrierefreies Bauen funktioniert. Sie wandten sich daher der zentralen Frage zu: welche gesetzlichen Hürden in Landesbauordnungen und Denkmalschutzbestimmungen müssen beseitigt werden, um die gebaute Umwelt für alle Personengruppen nutzbar zu machen. Damit ist auch schon der Schwerpunkt von Rihas Arbeit benannt.
Im Windschatten des legendären Architekten Günther Feuerstein, dem Pionier des barrierefreien Bauens und Wohnens, und der Expertentroika vom Institut für Soziales Design (Hans Hovorka, Dieter Berdel und Peter Pruner) entwickelte Eduard Riha sich zum ersten selbst betroffenen Fachmann auf diesem Gebiet in Österreich. Er arbeitete und verhandelte seine Sache im Normungsinstitut, im Denkmalschutzamt und auf europäischer Ebene bei Fachkonferenzen in Athen, Stockholm, Lissabon oder Brüssel.
Wie so oft bei Pionieren war es Eduard nicht vergönnt gewesen, ein Studium (des Bauingenieurwesens) zu absolvieren, Anfang der 70er Jahre war die Technische Universität für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich. Mehr noch: Damals waren behinderte Menschen auf freier Wildbahn bestaunte Exoten. Eduard Riha bildete in Österreich mit wenigen anderen Pionierinnen und Pionieren die Vorhut dessen, was später einmal „Selbstbestimmt-Leben-Bewegung“ genannt werden sollte. In dieser Zeit entfaltete er eine fieberhafte Tätigkeit im Bau- und Medienbereich. Schließlich wurde er zum Generalsekretär der Behindertendachorganisation bestellt. Viele Jahre war er auch Chefredakteur der Verbandszeitschrift „Monat“.
Wenn ich ihn abends besuchte, saß er meist über Bauplänen, Manuskripten oder Korrekturfahnen. Aber nicht nur Architektur und „Design for all“ beschäftigten Eduard, wir verbrachten auch viel Zeit damit, uns über Literatur auszutauschen. Vom Donauschriftsteller Adelbert Muhr erwarben wir in Antiquariaten nach und nach alle Romane und Reiseerzählungen, die klassischen Texte von Rabelais, Swift und Samuel Pepys kursierten zwischen uns ebenso wie die historischen-kritischen Romane von Fruttero & Lucentini, Monaldi & Sorti, James Lee Burke und Doris Gercke. Zwanzig Jahre lang erschien eine Groll-Kolumne in Rihas Zeitschrift, an den Groll-Romanen nahm er intensiv Anteil, sparte nicht mit Ratschlägen und solidarischer Kritik.“ 

„Ich will nicht unhöflich sein“, sagte der Dozent. „Aber ich möchte zu gern wissen, was Sie da schreiben. Einen Nachruf?“

Herr Groll nahm einen weiteren Schluck vom Wein und sagte: „Dieses Buch, es gab im Laufe der Jahre mehrere, diente uns beiden als Verständigungsmittel für Notizen, Ideen, Pläne und Rezepte – Edi war ein hervorragender Koch. Wir nannten es unser Logbuch. Dies wird der letzte Eintrag. Sie können jetzt ein Viertel Zweigelt bestellen. Edi hätte nichts dagegen.“ 

Der Dozent drehte sich um und hob die Hand.

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