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Nachruf auf Günther Feuerstein

Nachruf auf Günther Feuerstein published on

Text: Erwin Riess
Günther Feuerstein beschäftigte sich schon früh mit Fragen des architektonischen Umfelds und nahm Anregungen und Themenstellungen aus verschiedensten Bereichen der fortschrittlichen Gesellschaftswissenschaften auf.
Der Architekt Günther Feuerstein ist am Samstag im Alter von 96 Jahren gestorben. Er habe sich von einer vor drei Wochen erfolgten Operation nicht mehr erholt, hieß es in der Mitteilung. Feuerstein arbeitete bis zuletzt „aktiv als Architekturtheoretiker“ und veröffentlichte noch im Herbst sein letztes Buch.

Günther Feuerstein

An seinem Werdegang und seinen Arbeiten läßt sich nachvollziehen, wie nachhaltig und bis heute andauernd alternative und fortschrittliche Ansätze im Bau- und Wohnungswesen in Österreich behindert und bekämpft wurden und werden.

Besonders die Verländerung der Wohnbauförderung 1984 und die damit zusammenhängende Streichung einer bundeseigenen Wohnbauforschung wirkte sich in diesem Bereich verheerend aus.

Als wissenschaftlicher Referent in der damaligen Wohnbauforschung des Bautenministeriums hatte ich das Glück, gemeinsam mit Experten des Instituts für Soziales Design (Dieter Berdel, Peter Pruner, der früh verstorbene Hans Hovorka) Günther Feuerstein in der praktischen Arbeit zu erleben. Es ging um die rollstuhlgerechte Gestaltung einer Wohnung in Wien-Floridsdorf.

Mit wenigen, aber genialen Umbauten und Maßnahmen (tiefer gesetzte Anschläge und Geschirrkästen, genügend Platz zum Manövrieren, unterfahrbarer Herd und Abwasch usw.) gelang es Feuerstein, unter geringem Mitteleinsatz aus einer unzugänglichen eine behindertengerechte Küche zu gestalten.

Günther Feuerstein beschäftigte sich schon früh mit Fragen des architektonischen Umfelds und nahm Anregungen und Themenstellungen aus verschiedensten Bereichen der fortschrittlichen Gesellschaftswissenschaften auf.

Seine Seminare und Lehrveranstaltungen erleichterten für nicht wenige später berühmte Architekten den Blick auf eine Baukunst, die ökonomische Zwänge nicht widerstandslos akzeptierte und die Vielfalt der menschlichen Bedürfnisse im Bereich des Bauens und Wohnens aufnahm.

Die produktive Atmosphäre der Feuerstein´schen Seminare begünstigte die Ausbildung von Architekturströmungen, die unter dem Sammelbegriff Barrierefreies Bauen und Wohnen oder Design for all weltumspannend bedeutend wurden.

Feuerstein hatte das Glück, durch eine behinderte Tochter tagtäglich mit den Erfordernissen einer inklusiven Architektur konfrontiert zu sein. Es ist also kein Zufall, dass Feuerstein auch auf diesem Weg umfangreiche Kenntnisse entwickelte, ebenso wenig wie es ein Zufall ist, dass seine Tochter, Mag. Bernadette Feuerstein, als Vorsitzende von Selbstbestimmt Leben Österreich unterstützt von ihrem Mann, dem Architekten Bernhard Hruska, seit vielen Jahren als Pionierin des Selbstbestimmt-Leben-Konzepts behinderter Menschen gilt und eine hervorragende Persönlichkeit dieser menschenrechtlichen Szene ist.

Feuersteins Lebenswerk
Feuersteins Lebenswerk blieb unvollständig. Es war ihm nicht vergönnt, die Verankerung von Barrierefreiem Bauen und Wohnen in den Architekur-Lehrplänen als Pflichtfach zu erleben.

Lange Zeit unterrichtete die großartige Architektin Monika Klenovec dieses Fach an der TU Wien. Aber nur als Freifach! Die erdrückende Mehrheit der von den Universitäten abgehenden Architektinnen und Architekten hat während des Studiums nichts von Barrierefreiheit gehört.

Auch von den fortschrittlichen Festlegungen für inklusives behindertes Leben in der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2008 erfuhren die Architektinnen und Architekten während ihres Studiums nichts.

Groß ist daher auch heute noch das Erstaunen vieler Abgänger von Architekturstudien, wenn sie erfahren, dass man mit dem Rollstuhl über Stufen nicht hinauffliegen kann. Anachronistische Hochschulgesetze und die universitäre Autonomie wurden und werden für dieses gesellschafts- und wissenschaftspolitische Versagen verantwortlich gemacht.

Gesetze aber kann man ändern; derzeit dienen sie nur als Vorwand für eine fortgesetzte Ignoranz und Behindertenfeindlichkeit im Hochschulsektor.

Leider sind auch die großen alten Tanker der österreichischen Behindertenverbände mitverantwortlich für diesen Mißstand. Der Einsatz der offiziösen Behindertenverbände in der Frage Barrierefreiheit und Architektenausbildung reicht von nicht vorhanden bis kaum wahrnehmbar. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Ehrendoktortitel der TU Innsbruck
Er wirkte als Professor an mehreren österreichischen Universitäten, zu seinen Studenten zählten neben Wolf Prix und Helmuth Swiczinsky mit Coop Himmelb(l)au, Laurids Ortner von Haus-Rucker-Co (später O&O Baukunst) auch Wegbegleiter wie Walter Pichler und Raimund Abraham.

Für seinen unermüdlichen wissenschaftlichen Einsatz erhielt er zuletzt den Ehrendoktortitel der TU Innsbruck und für sein Wirken in der Architekturszene und für sein Lebenswerk den Hans Hollein Kunstpreis für Architektur 2021.

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