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Persönliche Assistenz: Die Grenzen der Selbstbestimmung – und der Bundesländer

Persönliche Assistenz: Die Grenzen der Selbstbestimmung – und der Bundesländer published on

Text: Jana Reininger
Menschen mit Behinderungen können Förderungen für Assistenz im Privatbereich beziehen. Was und wie viel dabei möglich ist, entscheidet jedes Bundesland für sich. Das sorgt für Chaos. Und es wird in einem Bereich eingespart, der für viele lebenswichtig ist.

Auf dem grauen Steinboden von Dorothea Brożeks Terrasse hinterlassen die ersten Regentropfen dunkle Punkte. Brożek seufzt. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer und blickt auf den Himmel. Gerade war er noch blau. Nun ist er dunkel. Die Terrassentür ist sperrangelweit offen und jetzt besteht keine Möglichkeit mehr sie zu schließen. Hoffentlich regnet es nicht lange. Hoffentlich regnet es nicht stark. Hoffentlich beginnt der Dienst ihrer Assistentin, bevor der Regen das Wohnzimmer durchnässt.

Brożek ist eine von rund 2.000 AssistenznehmerInnen in Österreich. Sie erhält eine monatliche Förderung, durch die sie Menschen bezahlen kann, die täglich zu ihr kommen. Sie erledigen all die Dinge, die sie selbst aufgrund ihrer körperlichen Behinderung nicht erledigen kann. Persönliche Assistenz gibt es für den Arbeitsalltag österreichweit. Die Assistenz arbeitet hier auf Anstellungsbasis, die Kosten werden vom Bund verwaltet. Für Assistenz im Privatbereich liegt die Verwaltung bei den Bundesländern und fällt dementsprechend unterschiedlich aus. Ideal ist es eigentlich nirgends in Österreich. Dafür mangelt es zu sehr am Geld.

Persönliche Assistenz ist hart erkämpft
Das Modell, das heute die Persönliche Assistenz ist, hat seinen Ursprung in der „Selbstbestimmt Leben Bewegung“. Das bedeutet, dass Menschen mit Assistenzbedarf selbst jahrelang gekämpft, gestritten und gestreikt haben, bis das System schließlich auch seinen Einzug in das Privatleben von Menschen mit Behinderungen gefunden hat. „Was hilft uns die Assistenz im Büro, wenn wir nicht wissen, wie wir aus dem Bett kommen?“, erinnert sich Dorothea Brożek. Heute arbeitet sie selbstständig von zuhause aus, wo die Grenzen zwischen Arbeitstag und Feierabend auch gerne mal verschwimmen.

„Wir brauchen Assistenz im Alltag“, erklärt die Unternehmensberaterin. „Sonst müssen wir in Einrichtungen leben und können nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Ich möchte nicht in einer Einrichtung leben. Ich möchte zuhause sein.“ Dank Assistenz geht das. Sie kann Unterstützung bekommen bei all den Dingen, bei denen sie eben Unterstützung braucht. Beim Verlassen der Wohnung etwa, beim Aufsuchen der Toilette, beim Zubereiten von Mahlzeiten oder eben beim Schließen der Terrassentür, wenn es plötzlich zu regnen beginnt.

Persönliche Assistenz ist auch schlichtweg überlebensnotwendig. „Wenn ich mich verschlucke und nicht selbst aushusten kann, brauche ich Unterstützung dabei, sonst wird das bedrohlich“, erklärt Dorothea Brożek, die von Anfang an in der Behindertenrechtsbewegung dabei war.

Ein Job mit Sinn
Wenn Brożek Unterstützung braucht, springt oftmals Anna Schiller ein. Sie öffnet und schließt Türen, unterstützt beim Umsetzen aus dem Rollstuhl, streicht Brote oder hilft beim Aushusten. Anna Schiller ist eine von acht AssistentInnen, die Brożek ihre Muskelkraft borgen. Die zierliche Frau arbeitet pro Woche rund 30 Stunden in vier Diensten und finanziert sich so ihr Leben und ihre Ausbildung. „Für mich ist das ein Job, der Sinn macht“, erklärt die angehende Sozialpädagogin. „Meine Arbeit hilft jemandem, sein Leben selbstständig zu gestalten, der das andernfalls nicht tun könnte.“

Problematisch ist, wenn Menschen mit Unterstützungsbedarf in ihrem Privatleben nicht genug Unterstützung finanziert bekommen. Und auch, wenn Menschen, die unterstützen, mit ihrer so wichtigen Arbeit in prekären Situationen leben. Ob und wann das so ist, unterscheidet sich nach den Regelungen, die jeweils in den österreichischen Bundesländern gegeben sind.

Jedes Bundesland mach Persönliche Assistenz anders
„Die Assistenzsysteme in den verschiedenen Bundesländern haben alle Vor- und Nachteile“, erklärt Thomas Stix, der die Plattform behindertenarbeit.at leitet. Im Sommer hat er einen Protest eingeleitet. Dorothea Brożek hingegen ärgert sich: „Da geht’s um Geldsparerei und jedes Bundesland führt die Sparerei anders aus.“ Wo Stundensätze hoch sind, werden nur wenige Stunden gefördert. Wo mehr Stunden gefördert werden, sind Stundensätze niedriger. In der Steiermark, im Burgenland oder in Niederösterreich beispielsweise liegen Stundensätze tendenziell hoch. Damit kann man Sozialabgaben für seine AssistentInnen gut abdecken und sie somit anstellen. Dafür gibt es dann aber oft nur wenige Stunden. Weniger als für viele wichtig wäre.

Der komplette Artikel: Persönliche Assistenz: Die Grenzen der Selbstbestimmung – und der Bundesländer (Magazin MOMENT.at / 2. Dezember 2020)

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Rund 2.000 Menschen in Österreich nehmen aufgrund einer Behinderung persönliche Assistenz in Anspruch. Während der Bund beruflich notwendige Assistenz finanziert, ist sie im Privaten nur unter prekären Konditionen möglich. Das macht allen Beteiligten das Leben schwer.

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