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Behindertenpolitik ist Querschnittsmaterie – Was bedeutet das?

Behindertenpolitik ist Querschnittsmaterie – Was bedeutet das? published on

Text: Pepo Meia, Niels Cimpa, David Herrmann
Barrierefreiheit: Einheitliche Bauordnung und Novellierung des BGStG – Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG überfällig
Das österreichische Behindertenrecht ist sogenannte Querschnittsmaterie. Historisch gewachsen beinhalten bekanntermaßen verschiedene Bundes- und Landesgesetze Rechtsvorschriften, die Menschen mit Behinderungen betreffen. In Österreich teilen sich Bund und Länder die Kompetenzen im Bereich der Behindertenpolitik. 

Querschnittsmaterien können allerdings problematisch sein, weil sich aus der fehlenden umfassenden Zuständigkeit des Gesetzgebers, der ausführenden Behörden oder der Gerichte Regelungslücken und Zweifel über die Verantwortlichkeit für den betreffenden Lebensbereich ergeben.

Da Barrierefreiheit der Grundstein für ein inklusives Miteinander ist, damit Ausgrenzung dieser immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe der Vergangenheit angehört, sollte anhand einer österreichweit einheitlichen Bauordnung dieses Ziel effizienter erreicht werden können. Außerdem: Barrierefreiheit kommt Allen zugute.

Schon in Artikel 7 unserer Bundesverfassung ist ein Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderung verankert.

Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG): Seit 1.1.2016 sollte ursprünglich nach einer 10-jährigen Übergangsfrist auch der öffentliche Raum barrierefrei sein. Die Frist wurde von der damaligen Bundesregierung (Bundeskanzler Faymann auf Initiative von Sozialminister Hundstorfer) bis 31.12.2019 verlängert – jedoch nur für die in § 8 Abs 2 genannten Fälle (Etappenplan für Bundesbauten wie Bundesministerien, Rechnungshof usw.).
Die Bestimmungen im BGStG gelten insbesondere für Unternehmen, die Waren, Dienstleistungen oder Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Natürlich sind die Bestimmungen zur Barrierefreiheit für neu errichtete Gebäude anzuwenden.
Anm.: Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung und andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind (§ 6 Abs 3 BGStG). Unter bauliche Barrieren ist alles zu verstehen, was mit einem Bauwerk fest verbunden ist (z.B. Stufen, zu schmale Türstöcke).

Doch in den letzten Jahren konnten mit dem BGStG immer weniger Erfolge erzielt werden. Denn das BGStG sieht nach wie vor keinen generellen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gegen bauliche Barrieren vor (siehe Art 5), sondern lediglich materiellen Schadensersatz. Auch die gerichtliche Geltendmachung ist wegen des Prozessrisikos eine große Hemmschwelle für die Betroffenen. So ist auch der Begriff „Zumutbarkeit“ ein dehnbarer und nicht wirklich effizient anwendbar. Eine Novellierung des BGStG ist notwendig und wird seit langem von der Behindertenbewegung gefordert („Alibigesetzgebung“). Hier ist der Gesetzgeber gefordert.

Bauordnung ist Landessache: Es gibt in jedem der neun Bundesländer eine eigene Bauordnung. Auch barrierefreies Planen und Bauen fällt in diese Kategorie. Logisch wäre es, dass dieser Rechtsbereich für Menschen mit Behinderung in jedem Bundesland gleich geregelt ist – mitnichten.

Es ergibt sich eine Reihe von Fragen, die darin gipfeln, wer für diese Querschnittsmaterie eigentlich zuständig ist. Es fängt schon damit an, wann und wie denn überhaupt barrierefrei gebaut werden muss.
Anm.: Grundsätzlich sollte die Planung den allgemeinen Planungsprinzipien folgen. Dabei sind die Belange für Menschen mit Funktionseinbußen, insbesondere mit Bewegungseinschränkungen und Sinnesbehinderungen, zu berücksichtigen. Menschen mit Behinderung muss der Zugang und die Nutzung ermöglicht bzw. erleichtert werden.

Bauten und Gebäude: Und vor allem stellt sich die Kernfrage, wenn wir an Inklusion denken, müssten alle Bauten, wie auch öffentliche Gebäude, z.B. Ministerien, Rathäuser, Ämter, Wahl-Lokale, Schulen, Kindergärten, Kinderspielplätze aber auch beim Wohnbau, barrierefrei und letztlich einheitlich für Menschen mit Behinderung zugänglich sein? Denn barrierefreies Planen und Bauen bedeutet auch einen finanziellen Mehraufwand für den/die jeweiligen Kostenträger. Bekanntlich ist gute Planung weitaus kostengünstiger als diverse Nachrüstungen. Barrierefreies Planen und Bauen ist noch immer kein Pflichtfach für diese Fachausbildung. Auch der Denkmalschutz wird oft als Vorwand genommen, um barrierefreie Maßnahmen zu verhindern.
Anm.: Eigentlich hätte das österreichische Institut für Bautechnik (OIB) der Zersplitterung der Rechtslage ein Ende setzen sollen. Wie aus dem „Bericht zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Österreich“ vom Juli 2018 hervorgeht, erlässt das OIB Richtlinien, die von den Ländern in das jeweilige Baugesetz übernommen werden können, jedoch sind Menschen mit Behinderungen in den Prozess der Richtlinienerstellung nicht einmal eingebunden. Weiters heißt es im Bericht: „Im Jahr 2015 wurde erstmals der Verweis auf die ÖNORM B 1600 (nationale Norm zur Barrierefreiheit) aus der OIB-Richtlinie entfernt und stattdessen geringere Voraussetzungen an die Barrierefreiheit definiert.
Darauf fußend gibt es seit 2015 gravierende Verschlechterungen in den Baugesetzen der Länder (z.B. Niederösterreich, Oberösterreich oder Burgenland). Diesbezügliche Proteste der Behindertenorganisationen bleiben ungehört. Dazu ist zu bemerken, dass die OIB-Richtlinien schon grundsätzlich nicht geeignet sind, die Baugesetzgebung der Länder zu harmonisieren.“
Auch gibt es noch immer
keine Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung des Straßenraums – dazu gehören auch Gehsteigabsenkungen etc. (Österreichischer Behindertenrat 2018, S. 11).

Allgemeine Fragen:
Öffentliche Verkehrsmittel: Müssen alle Bahnhöfe, U-Bahnstationen mit einem Behinderten-WC ausgestattet werden? Müssen alle U-Bahngarnituren, Züge, Straßenbahnen, Autobusse, Seilbahnen und sonstige Beförderungsmittel barrierefrei zugänglich sein? Wie viele Sitz- oder Stell-Plätze werden für diese Bevölkerungsgruppe geschaffen? Denn diese Frage betrifft nicht nur Menschen mit Funktionseinbußen, sondern auch Mütter und Väter mit Kinderwägen.
Tourismus: Müssen alle Hotels barrierefrei zugänglich sein – und wie viele Zimmer müssen barrierefreie Badezimmer und Toiletten vorweisen? Müssen auch Blindenleitsysteme vorhanden sein?
Sport: Muss jede Sportstätte mit taktilen Leitsystemen und mit Behinderten-WC´s ausgestattet sein (wenn man den Behindertensport berücksichtigt)?
Kultur: Wie viele Rollstuhlplätze müssen in einem Theater/Kino/Konzertsaal, etc. zur Verfügung stehen? Muss z.B. auch eine Induktive Höranlage vorhanden sein?
Gastronomie: Muss jedes Lokal ein Behinderten-WC zur Verfügung stellen? Müssen Speise- und Getränkekarten auch in Brailleschrift vorliegen?

Um die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken und zu sichern, ist das Engagement aller politisch Verantwortlichen notwendig. Der Nationalrat müsste die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine österreichweit einheitliche Bauordnung mit einer Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG, wie es z.B. im Falle des Tierschutzes bereits geschehen ist, schaffen. Außerdem ist eine Novellierung des BGStG längst überfällig.

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