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Zusammenlegung der Krankenkassen: Fluch oder Segen?

Zusammenlegung der Krankenkassen: Fluch oder Segen? published on

Text: David Herrmann, Pepo Meia
Regierungsprogramm von „Türkis-Blau“ wird abgearbeitet – aus 21 Sozialversicherungsträgern werden fünf
Die Krankenkassen werden zusammengelegt. Dadurch erwartet sich die Bundesregierung Einsparungen in der Höhe von einer Milliarde Euro – für die Patienten bis 2023. Doch die Reform birgt viele offene Fragen. Zahlen am Ende die Versicherten drauf oder werden sie entlastet?

Der Umbau des Gesundheitssystems schreitet zügig voran: Seit April 2019 bereiten Überleitungsausschüsse diese Veränderungen vor. Diese bestehen bis Ende des Jahres neben den noch existierenden Gremien in den aktuell 21 Sozialversicherungsträgern. Dann soll die Zusammenlegung abgeschlossen sein. Schließlich bleiben nur mehr fünf Kassen übrig: Die unselbständig Beschäftigten werden in der Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengefasst – sie ersetzt die bisherigen neun Gebietskrankenkassen. Beamte, Eisenbahner und Bergbau-Arbeiter sowie Bauern und Selbständige bekommen eigene Versicherungen: Die Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst, Eisenbahnen und Bergbau und die Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS). Die großen Ungerechtigkeiten zwischen Beamtenversicherung und Angestellten-Versicherung werden damit nicht beseitigt.

Befürworter der Reform sehen die Einsparung von einer Milliarde als gesichert an. Die Berechnung basiert auf einer Studie der renommierten London School of Economics, die bereits unter SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger in Auftrag gegeben wurde. Kritiker warnen, dass es in Österreich kein einziges Blatt Papier mit einer Kostenschätzung gibt.

Sie sehen in diesem Vorhaben keine Struktur -, sondern lediglich eine Türschildreform. Es würde sich praktisch nichts an den bisherigen Prozessen ändern. Wie das derzeitige Leistungsniveau gehalten werden soll, obwohl es gesetzlich auferlegte Einsparungen gibt, ist für viele Experten fraglich. Leistungskürzungen und neue Selbstbehalte sind die logische Schlussfolgerung.

Die Einsparungen wären für Befürworter durch verschiedene Maßnahmen denkbar: Beim gemeinsamen Einkauf, natürliche Abgänge der Mitarbeiter, die nicht nachbesetzt werden (Pensionsantritt) und Einsparungen der Funktionäre (von 2000 auf 480).
Kritiker wiederum sehen die seitens der Regierung gepriesenen Einsparungen der Funktionäre hier kaum ins Gewicht fallend. Die Sitzungsgelder für diese Personen haben 2017 lediglich ein Zehntausendstel des gesamten Budgets ausgemacht. Die Opposition bezichtigt die Regierungsparteien Postenschacher und Umfärbung – ein zusätzlicher Vorstandsposten für die FPÖ wurde geschaffen.

Die Autoren der SPÖ-nahen Seite „kontrast.at“ sehen die Einsparungsmöglichkeiten bei der Verwaltung gering an – sie sind nach deren Recherchen mit 40 Euro pro Versichertem und Jahr die niedrigsten in Europa. Zum Vergleich: Die effizienteste Krankenkasse in Deutschland wendet 136 Euro pro Patient und Jahr für Verwaltung auf.

Die Fusionierungen der Kassen würde sich laut den Reformbefürwortern künftig positiv für die Versicherten auswirken.
Durch die Zusammenlegung der Kassen entstehen vorerst Kosten von mindestens 500 Mio. – kritisieren die Gegner.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sprach bereits vor Monaten von einem Leuchtturmprojekt der Bundesregierung. Die Ministerin sieht in der Zusammenlegung eine zukunftsfähige, schlanke, Struktur. Zudem verspricht sie mehr Geld für Ärzte und Patienten. Dadurch würde mehr Fairness geschaffen werden. Auch die Leistungen für die Versicherten sollen ansteigen.

Matthias Krenn (FPÖ), Hotelier, Bürgermeister und Vizepräsident der Wirtschaftskammer sowie der zukünftige Obmann der ÖGK, spricht in der ORF-Sendung „Report“ (9.April 2019) von einem Meilenstein der österreichischen Gesundheitsversorgung. Er sieht durchwegs positive Änderungen: Bisher waren Bundesländergrenzen auch Leistungsgrenzen. Fortan sei es möglich, gleiche Leistungen in allen Bundesländern zu erhalten.
Krenn schließt neue Selbstbehalte aus. Es sollen bereits in nahender Zukunft die Leistungen zumeist nach oben harmonisiert werden.

Der ehemalige Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) äußert ebenfalls Kritik. Er vermisst u.a. die Entlastung teurer Spitäler. Die Reform würde außerdem dazu führen, dass man in den kommenden ein bis drei Jahren Irritationen bei Ärzten (Spitalspersonal) auslöst und den Gesundheitsbereich nicht mehr steuern kann. Die laufende Arbeit werde dadurch nicht mehr möglich sein.

Sieben Millionen unselbstständig Beschäftigte und Mitversicherte sind in der ÖKG zusammengefasst. Die Unternehmer gewinnen hier künftig an Einfluss: Bisher waren vier Arbeitnehmer-Vertreter und ein Vertreter der Unternehmer in den Gebietskrankenkassen.
Fortan sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich stark vertreten. In den Überleitungsgremien sitzen jeweils sechs Arbeitgeber- und sechs Arbeitnehmervertreter.

Andreas Huss (SPÖ), der die Arbeitnehmer vertritt, meint, dass die Versicherten gar nichts von der Reform haben. Die „Mehrklassenmedizin“ bleibt aus seiner Sicht auch weiterhin bestehen. Diese teilt er in drei Klassen ein:
„1. Klasse: Für Beamte und Politiker wird es in Zukunft auch tolle Leistungen geben. Sie können z.B. im Spital in der Sonderklasse liegen.
2. Klasse werden die Unternehmer sein – nicht so toll, jedoch weiterhin gute Leistungen.
3. Klasse – die sogenannte Holzklasse: In der ÖGK wird es in Zukunft harmonisierte gleich schlechte Leistungen geben.

Aus dem Regierungspapier geht hervor, dass eine 3-Klassenmedizin zu befürchten ist.
Ziel der Reform: Lohn-Nebenkostensenkung für die Industrie – die Arbeitnehmer haben nichts davon – die werden das bezahlen.
 Die Rahmenbedingungen für private Anbieter von Gesundheitsdiensten werden verbessert – Geld der Versicherten soll in die private Gesundheitswirtschaft gepumpt werden.“

Zudem gibt es rechtliche Bedenken gegen die Zusammenlegung: Der Chef der Tiroler Arbeiterkammer Erwin Zangerl (ÖVP) klagt, da er die Zusammenlegung als nicht verfassungskonform erachtet. Man würde versuchen, alles zentralistisch zu organisieren. In vielen Staaten, wie beispielsweise Großbritannien, habe ja dies zu großen Problemen geführt. Fünf weitere Organisationen, u.a. auch der Seniorenrat haben Klage eingereicht, da die Pensionisten im Hauptverband das Stimmrecht verlieren.

Gesundheitsökonom Ernest Pichelbauer spricht sinngemäß von vertanen Chancen: „Von einer Gesundheitsreform könne keine Rede sein, es geht vielmehr um Machtpolitik. Die Idee einer einheitlichen Krankenkasse ist uralt und wird ignoriert. Es ist ein jahrzehntelanger Machtkampf und ein Gesundbeten auf dem Rücken der Patienten. Die Patienten wissen gar nicht, welche Probleme sie haben, die sie nicht haben müssten, wenn sie ein anderes System hätten.“

Artikel zum Thema:
Reform der Sozialversicherungen: 3-Klassenmedizin ist zu befürchten (BMIN-Info vom 26.10.2018)

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